Stinknormal?

Die Basler ‹Tages Woche› hat in der letzten Woche unter dem Titel «Die Schwulenszene ist tot» ein Portrait über Peter Thomann veröffentlicht.

Die Zeitung beschreibt Peter nicht nur als Pionier, sondern auch als Galions- und Reizfigur der Schwulenszene. Da wird auch die Entstehung seines Buchladen ‹Arcados› – mit unzähligen Anekdoten garniert – erzählt. Das war in einer Zeit, wo es noch kein Internat und keine Smartphones gab und andere Wege zur Kontaktaufnahme zwischen Männern zwecks sexueller Verknüpfung nötig waren. «Klappen» heisst hier das Stichwort. Zitat aus der Tages Woche:

Was bei Heteros immer für ein bisschen Ekel und Verwunderung sorgt. Aber tatsächlich brauchten die Schwulen diese – im Wortsinn – zwielichtigen Strukturen, um anonym Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen.

Warum? Peter Thommen:

Man darf nicht vergessen: Für Schwule galt das Schutzalter 20. Sexuelle Beziehungen mit 19- oder 18-Jährigen galten als Pädophilie. Ausserdem gab es für Schwule ein absolutes Prostitutionsverbot und schwule Pornografie war bis in die 1980er in der Schweiz verboten.

Und die Polizei registrierte Schwule auf diesen Klappen und führte ein Schwulenregister. Gegen diese unmenschliche Behandlung entstand Widerstand. Rosa von Praunheim drehte 1971 den Film «Nicht der Schwule ist pervers, sondern die Situation in der er lebt», der sich nicht an die Gesellschaft, sondern an die Homosexuellen selber richtete: Die schlechte Situation sei hausgemacht, Schwule sollten ihre unmässige Angst überwinden und aus ihren Verstecken kommen – um solidarisch und kämpferisch miteinander für eine bessere, gleichberechtigte Zukunft anzutreten. Eine neue – eine farbige und laute – Bewegung entstanden. Es war 1979 als die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern unter dem Motto «Bärn het Schwuli gärn» zum «Ersten Nationalen Schwulen-Befreiungstag» aufriefen.

Und jetzt? 30, 40 Jahre später? Da stellt Peter Thommen in der Tages Woche fest:

Die Schwulen haben zu viel Energie darauf verwendet, gleich zu sein wie die Heteros, statt ihr Recht auf Andersartigkeit zu betonen. Die Schwulen verspiessern!

Ich bin überzeugt: Viele Schwule wünschten sich damals – an der Pissrinne stehend – eine gemeinsame Zukunft planen zu können. Heiraten, gemeinsame Ferien, eine gemeinsame Wohnung, Kinder … Damals nannten wir Heteros verächtlich Stinos – Stinknormale – hatten aber im Hinterkopf tatsächlich eigentlich das Ziel, doch auch «so» zu werden. Echte Spiesser eben!

Bastian Baumann, Geschäftsleiter von Pink Cross in seinem «Replik auf Peter Thommen»:

Früher musste man kämpfen, heute lobbyiert man. Früher verkloppte uns die Polizei, heute gründen sie schwullesbische Ableger. Früher ächtete uns die Politik, heute regiert eine lesbische Stadtpräsidentin.

Mir persönlich ist es bei dieser Diskussion wichtig: Vergessen wir unsere Geschichte nicht und behalten unsere Vordenker und Vorkämpfer in Ehren. Und bleiben wir dabei doch wenigstens ein bisschen «anders» – auch wenn wir uns nicht mehr zwingend «anders» fühlen müssen. Wenn ich allerdings lese, dass das Suizidrisiko bei homosexuellen Jugendlichen zwei- bis zehnmal höher ist als bei gleichalterigen Heterosexuellen, relativiert sich diese Aussage.

Setzen wir uns daher weiterhin ein: für eine schlagfertige, kräftige und vielseitige translesbischule Bewegung!