Queer? Stay queer!

Ein guter Freund hat mich vor ein paar Jahren als «Queerdenker» bezeichnet (was mich noch heute stolz macht). Die Homosexuellen Arbeitsgruppen Basel haben sich in «HABS queer Basel» unbenannt und die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern überlegen sich einen ähnlichen Schritt! Soweit – so gut! Auch Namen sollen unsere Vielfalt widerspiegeln. Doch: So vielfältig und bunt unsere Community auch ist, so schwieriger ist es offenbar, alle unter einem Dach zu vereinen.

Am nächsten Wochenende findet hier in Bern die Pride Ouest statt – ein dreitägiger Grossanlass «von LGBTI-Menschen für LGBTI-Menschen». Die Pride soll ein Ort «unverkrampfter Begegnung» sein; eine Veranstaltung um die «Vielfalt der Gesellschaft zu feiern». Begleitet durch eine Hymne wird vor dem Bundeshaus eine übergrosse Regenbogenfahne gehisst. Das Grusswort wird Gemeinderat und CVP-Politiker Reto Nause an die Besuchenden der Pride richten. Und ebenfalls eine Rede halten wird Bundesrätin Simonetta Sommaruga.

Das ist doch grossartig! Eine Bundesrätin und ein Vertreter der Stadtregierung sprechen an unserer Pride in Bern …

An der ersten vergleichbaren Veranstaltung 1979 in der Bundeshauptstadt musste sich der Berner Gemeinderat noch für die Führung des sogenannten «Homo-Registers» verantworten. Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen! Oder?

Die formulierten Forderungen der Pride in Bern sind klar: die rechtliche Gleichstellung, die Öffnung der Ehe mit dem Recht mit einem Adoptionsrecht, Schutz vor Diskriminierung im Strafgesetzbuch, die Verankerung der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in der Bildung.

Passen nun die Forderungen und die Redner*innen zusammen? Nein, findet eine Gruppe Leute – und ruft zu einer alternativen Pride auf. Die aufgeführten Argumente:

  • Reto Nause: Im Positionspapier der CVP steht ausdrücklich, dass die CVP weder die Ehe für alle noch die Öffnung des Adoptionsrecht für nicht-heterosexuelle Paare wollen. Andere Familienmodelle als die heterosexuelle Kleinfamilie kommen im Positionspapier der selbsternannten Familien-Partei nicht vor.
  • Simonetta Sommaruga: Als Vorsteherin des Schweizer Asylwesens, prägte sie dieses in den letzten Jahren in erster Linie durch Verschärfungen. Wer aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt wird und in die Schweiz flieht, hat es nicht leicht, Asyl zu erhalten.
  • «Schweizerhof»: Das Fünfsternehaus gehört dem Staat Katar. Homosexualität ist in Katar verboten, es drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Als Queerdenker bringen mich diese Argumente ins Grübeln. Wie soll eine Pride durchgeführt werden? Stinkt Geld aus Katar nicht? Für wen ist eine Pride? Gehören beispielsweise «Fetische» dazu?

Die Frage, ob «Fetische» an eine Pride gehören oder nicht, hat das «Display Magazin» auf Facebook gestellt. Die Kommentare darauf zeigten mir deutlich: Offenbar geraten im Zuge der Anpassung der Community an traditionelle Lebensmodelle alternative Lebensmodelle zunehmend unter Druck. Vier Meinungen aus der geführten Diskussion:

es soll für alles Platz haben aber mit Schwerpunkt auf no Fetisch und no zirkusklamauk wir wollen ja ernst genommen werden und das geht nicht mit hunden sklaven und tuntenprinzessinnen

entscheidet euch, wollt ihr respect und kinder adoptieren? wenn ja dann hört auf mit diesen provokationen! bleibt politisch und lasst eures intim privates zu hause. niemand kann gays auf diese weise ernst nehmen. ihr habt es in der hand wie eure zukunft und anerkennung sein wird.

Was sich ziehmt und was gegen ein «gesellschaftlich vereinbartes» Schamgefühl verstösst, ist immer eine Gratwanderung zwischen Prüderie und Provokation. Pride ist nicht nur Politik sie ist auch eine Gesellschaftskritik an bestehenden Vorstellung und Werten.

Wir sind uns ja nicht mal ansatzweise über den Sinn und Zweck der Pride einig. Und nun sollen wir entscheiden, wer wie mitmachen darf? … Also entweder üben wir uns einfach in Toleranz, oder wir machen aus der Pride eine reine Politveranstaltung mit Kleidervorschriften.

Bin ich ein unverbesserlicher Träumer, wenn ich mir eine vereinte Community wünsche?

Als schwuler Cis-Mann habe ich mir mit 20 – das war anfangs der 80iger – gewünscht, doch so leben zu können, wie ich mir das wünsche. Und das war (auch) damals nicht so einfach. Das hat mich nicht geprägt, sondern auch gezeigt, dass wir doch der heterosexuell geprägten Norm als Vorbild dienen könnten – etwa mit unseren offenen Lebensformen, mit unseren vielseitigen Geschlechtsidentitäten und unserem unkomplizierten Umgang mit der Sexualität.